Hilfe, ich habe meine xorg.conf geschrumpft

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle nur ein Update meines Artikels über Linux auf dem HP 2710p Tablet-PC bringen. Doch dann habe ich mir kühn die Beta der kommenden Ubuntu-Version 9.04 Jaunty Jackalope auf Tablett geschmiert – und nicht schlecht gestaunt: Mit der neuen Version 1.6 des Xorg-Servers ist die Herumdoktorei an der berühmt-berüchtigten xorg.conf hinfällig, passe, vorbei. Tatsächlich braucht man überhaupt keine xorg.conf mehr – selbst der Wacom-Digitizer samt Stift im Tablet-PC wird automatisch erkannt und unterstützt.

<strong>“Schuld“ daran ist HAL</strong>, der Hardware Abstraction Layer, der per Hotplug die Konfiguration der Grafikabteilung, von Ein- und Ausgabegeräten komplett übernimmt und damit die statische xorg.conf endgültig arbeitslos macht. Das ist schön und angenehm; nur leider wird dieser Paradigmenwechsel für Otto Normaluser nicht besonders transparent kommuniziert (wie das dummerweise häufiger bei Linux der Fall ist). Den Preis für die schlechteste Website verleihe ich in diesem Zusammenhang mal zu gleichen Teilen an das X.org-Projekt selbst – die „neueste“ Dokumentation, die dort aufzufinden war, stammt von Xorg 7.0 aus dem Jahr 2005 – und die assoziierte Initiative Freedesktop.org., wo ich erst mit Googles Hilfe eine Beispiel-Seite für die HAL-Konfiguration fand.

Nun werden sich aber in ein paar Wochen, wenn die neue Ubuntu-Version fertig ist und die Update-Welle rollt, bestimmt noch ein paar mehr Menschen so wie ich wundern, warum sie ihre xorg.conf geschrumpft haben. Natürlich sind auch Debianer betroffen; zwar nicht die Anwender der stabilen Version Lenny, aber die Freunde der cutting-edge-Version Debian Sid. Denn dieser Tage ist auch auch bei Debian der neue X.org-Server von experimental nach unstable propagiert worden, wie man der wie immer bestens informierten Website der Sidux-Distribution entnehmen kann. Bekanntlich beruht Ubuntu ja auf Debian Sid. Und da X.org linuxweit Quasi-Standard ist, geht das Thema auch alle an.

Grund genug also, um an dieser Stelle die Änderungen und ihre Konsequenzen auf einen Blick zusammenzufassen.

Eine entschlackte xorg.conf-Datei genügte schon bei der letzten Ubuntu-Version 8.10 Intrepid Ibex, um den X-Server zum Laufen zu bringen. Als Tablet-PC Nutzer musste man dennoch die aus früheren Versionen bekannten Abschnitte für Wacom-Digitizer und Stift hinzufügen – das heißt, man kann die alten, Wacom-spezifischen InputDevice-Sektionen und die ServerLayout-Einträge aus meiner ursprünglichen Beispiel-xorg.conf weiterverwenden – mit einer Ausnahme:

Das Device heißt nicht mehr /dev/ttyS0, sondern /dev/input/wacom (danke an Thinkwiki).

Stößt man nun unter Jaunty auf der Kommandozeile mit

$ X -configure

oder mit xfix nach dem Booten in das Recovery-System eine Selbstkonfiguration des X-Servers an, so wird immer noch eine rudimentäre xorg.conf mit ein paar Standardeinträgen erzeugt. Tatsächlich ist selbst die aber nicht mehr nötig, wenn man keine exotische Hardware verwendet. Mein HP-Notebook (mit Intel-Centrino-Duo-Chipsatz) startet auch mit einer leeren xorg.conf – ich kann sie auch ungestraft komplett löschen. Der X-Server startet dank HAL-Einbindung trotzdem wieder – und er konfiguriert auch automatisch die Wacom-Hardware.

Die Policies von HAL sind dafür verantwortlich, dass alles out of the box funktioniert. Für die das Wacom-Tablett liegt unter /usr/share/hal/fdi/policy/20thirdparty/ eine spezielle Policy-Datei – erkennbar an der Erweiterung *.fdi. Lösche ich diese Datei und starte den Rechner neu, dann funktioniert das Wacom-Tablet nicht mehr. Quod erat demonstrandum.

Mit anderen Worten: Auch Kollege HAL hat seine Konfigurationsdateien, es geht eben nicht ohne. Aber man muss sie nicht mehr anfassen – es sei denn, um sie ergänzen. In diesem Fall kann man die vorgegebene Wacom-Konfigurationsdatei verändern. Offenbar ist es aber best practice, Ergänzungen in eigenen *.fdi-Dateien in /etc/hal/fdi/policy/ abzulegen. Wie das geht, zeige ich in einem weiteren Artikel an einem praktischen Beispiel: Der Konfiguration der Tablet-PC-Buttons.

*.fdi-Dateien sind in XML abgefasst. Wer eine Ahnung davon hat, wie XML formatiert wird, hat keine Probleme, Options-Zeilen aus alten xorg.conf-Dateien in neue *.fdi-Policy-Dateien zu überführen. Allerdings lassen sich Konfigurationen der alten Art (über xorg.conf) und der neuen Art (über *.fdi) offenbar nicht so einfach mischen. Jedenfalls funktionierte dieses Beispiel eines Fedora-Users, der für sein Grafiktablett selektiv eine xorg.conf erstellte, alles andere aber von HAL managen lässt, bei mir nicht.

Wer seine alte xorg.conf behalten will, zum Beispiel als Fallback-Lösung bei Update-Problemen, muss dafür sorgen, dass HAL sich nicht mehr für den X-Server verantwortlich fühlt. Dies geht offenbar, wenn man die xorg.conf um folgenden Anweisungsblock ergänzt (gefunden u.a. im Sidux-Wiki):

Section "ServerFlags"
Option "AllowEmptyInput" "0"
Option "AutoAddDevices" "0"
EndSection

Geprüft habe ich das nicht mehr. Waum auch? Bei mir funktioniert der Tablet-PC nämlich ganz ohne xorg.conf.

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