Beispiel Jiayu S3: China-Phones werden immer besser

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Jiayu S3 plus

Wer ein Import-Smartphone aus China erwirbt, erhält viel Leistung fürs Geld. In der nicht mehr ganz „billigen“, aber attraktiven Preisregion um etwa 150 Euro findet man bereits leistungsfähige Android-5.1- oder 6.0-Geräte mit großzügigem 5,5-Zoll-Full-HD-Display, flottem 64-Bit-Octacore-Prozessor, üppigen 3 GB Arbeitsspeicher und mindestens 16 GB NAND-Speicher (von den Chinesen fälschlicherweise ROM genannt); die praktische Dual-SIM-Funktionalität ist sowieso fast immer an Bord. Allerdings bleibt bei den meisten China-Phones das Garantie-Risiko. Soll man also einen Kauf wagen oder nicht? – Ein Blick auf das aktuelle chinesische Smartphone-Bouquet unter besonderer Berücksichtigung des Jiayu S3+, das man sowohl beim China-Händler als auch beim offiziellen Distributeur Jiayu Deutschland bekommen kann.

150 Euro – wie ist das möglich? Zunächst sind die Lohn- und Produktionskosten in China niedrig, ein Umstand, den sich auch teure Marken-Hersteller wie Apple zunutze machen. Die Margen der kleinen chinesischen Hersteller sind dagegen gering. Zudem sparen sie, wo es nur geht. Das kann, aber muss nicht zu Lasten der Qualität gehen. So haben fast alle China-Phones Chipsätze des Niedrigpreis-Herstellers Mediatek eingebaut, die qualitativ gegenüber dem Konkurrenten Qualcomm aufgeholt haben; Kinderkrankheiten wie das schlechte GPS gehören der Vergangenheit an.

Mehr noch: Mediateks aktueller Mittelklasse-Achtkerner MT6753 kann auf beiden WLAN-Frequenzen (2,4 und 5 Mhz) senden, versteht sich auf Bluetooth 4.0 und enthält ein „Worldmode“-Funkmodem, das überall auf der Welt Anschluss findem soll. Wichtig für deutsche Nutzer: Auch das LTE-Band 20 funktioniert. In einigen chinesischen Smartphones, leider auch denen der renommierten Hersteller Xiaomi und Meizu, fehlt diese Unterstützung. Was die Navigationssatelliten angeht, versteht der Chip neben dem amerikanischen GPS auch den russischen Standard Glonass und Beidou (China).

In der Hightech-Welt hat man sich daran gewöhnt, dass Neuerscheinungen besser als ihre Vorgänger sind. Tatsächlich ist der MT6753 langsamer als sein Vorgänger MT6752 und kann eigentlich nichts besser als dieser. Oder doch: Er ist sparsamer – nicht nur beim Energieverbrauch, sondern vor allem auf dem Preisschild, was das gute Preis-Leistungsverhältnis der aktuellen China-Phone-Generation erst möglich macht. So kostete das Jiayu S3 bei ansonsten gleicher Ausstattung mit dem alten Chip rund 50 Euro mehr als mit dem neuen, obwohl sich die höhere Leistung des Vorgängers in der alltäglichen Nutzung nicht spürbar auswirkt, es sei denn bei Power-Gamern. Die sollten aber ohnehin eher zu Mediateks teureren Prozessor-Rennpferden der Helio-Reihe greifen.

Eine andere Frage ist, wie gut die Hersteller das Potential des Chipsatzes Firmware-seitig implementieren – womit wir bei den Schattenseiten der Sparpreis-Politik wären. So ist etwa das kürzlich erschienene Ulefone Power auf dem Papier ein imposantes Gerät – doch liefert der Hersteller für den 64-Bit-Prozessor nur ein 32-bittiges Android. Ohnehin bekommen die wenigsten China-Phones ein Update auf eine neuere Android-Version spendiert, selbst wenn der Hersteller das vorher vollmundig versprochen hat.

Jiayu gehört in dieser Hinsicht zu den löblichen Ausnahmen. Die auf dem MT6752 basierende ältere Generation des S3 (zu erkennen an den Namenszusätzen „Basic“ oder „Advanced“) wurde zwar noch mit Android 4.4 ausgeliefert; doch hat Jiayu das Firmware-Update auf Android 5.1 hinbekommen – anders als etwa der Hersteller Umi, der trotz anders lautender Ankündigungen an einem Update seines eigentlich recht potenten Modells Emax (einer Auftragsfertigung des Groß-Herstellers TCL, in Europa unter dem Markennamen Alcatel bekannt) scheiterte.

Jiayu S3 Front
Das Gehäuse ist unauffällig, aber stabil. Dank der bauchigen Rückseite schaffen es die Jiayu-Designer, den großen 3000-mAh-Akku so diskret unterzubringen, dass das Smartphone an den Rändern schlank wirkt. Der Akku ist wechselbar. Unter dem Rückdeckel finden sich außerdem die beiden SIM-Karten-Halten sowie ein SD-Karten-Slot.
Jiayu S3+ Bildschirm
Jiayu hat dem S3 eine Benachrichtigungs-LED, die rot oder grün leuchtet, sowie dezent beleuchtete Android-Tasten spendiert. Regelrecht verwöhnt wird man vom scharfen Full-HD-Display – allerdings mag die in China besonders trendige „Phablet“-Größe von 5,5 Zoll für manche hiesige Langnase schon zu groß sein.

Die MT6753-Geräte und damit auch das neue S3 mit dem Pluszeichen kamen dagegen bereits mit Android 5.1. Auf meinem Exemplar war keine chinesische Bloatware installiert. Nach dem ersten Einschalten stellt man die Sprache direkt durch Wischen auf dem ersten Bildschirm von chinesisch auf deutsch um; zum Vorschein kommt dann ein schlankes Android samt installierter Google-Apps. Im Dezember 2015 wurde das erste Update über Funk (OTA) ausgeliefert; trotzdem entdeckte die App Stagefright Detector noch eine offene Sicherheits-Lücke. Ein weiteres, als „offiziell“ deklariertes Update vom Februar 2016 findet sich zwar bei Needrom und im chinesischen Hersteller-Forum, wird aber merkwürdigerweise nicht OTA angeboten. Update: Das bisher beste Android-5.1.-ROM für das S3+ kommt aus dem Umfeld des spanischen Distributeurs Jiayu.es und nennt sich Belulah. Im Gegensatz zum spröden Original-ROM ist Belulah mit Liebe zum Detail und schicker Grafik gemacht, ohne deshalb aufdringlich zu wirken. Zudem gibt es keine Stagefright-Lücke mehr. Die Links zum Download findet man ebenfalls bei Needrom oder auf der Website der Entwickler – in beiden Fällen ist eine Registrierung notwendig.

Auch der deutsche Distributeur Jiayu.de bietet über eine spezielle App eigene ROMs an; wer kein Kunde ist, muss für dieses Privileg aber 29,90 Euro zahlen. Dass diese ROMs ab Werk gerootet sind, mag versierte Nutzer erfreuen; von Haus aus stellt es aber erst einmal ein Sicherheitsrisiko dar. Das betrifft übrigens auch das ebenfalls gerootete Belulah-ROM. Update: Lobenswerter Weise haben Jiayu.de-Mitarbeiter unter dem Namen MAD (Mediatek Android Developers) auch eine freie Version (und auch für Nicht-Kunden kostenfreien) von Android Marshmellow erstellt. Der Nutzer hat dabei die Wahl zwischen CyanogenMod 13, AICP 11 oder Paranoid Android. Alle drei ROMs gibt es sowohl für Geräte mit MT6752 als auch mit MT6753. Ein großer Schritt nicht nur für Jiayu, sondern auch für andere Mediatek-Geräte, da die Software-Quellen auch anderen ROM-„Köchen“ zur Verfügung stehen. Noch ein Update: Inzwischen ist daraus ein auf AOSP beruhendes MAD OS geworden mit Upgrade auf Android Nougat und Oreo (November 2017).

Unter dem Strich: Smartphones auf der MT6753-Plattform bieten viel für vergleichsweise wenig Geld; das hier ausprobierte Jiayu S3+ erwies sich als empfehlenswertes Gerät. Die Chipsatz-Plattform wird ordentlich von der Firmware implementiert: Schneller GPS-Fix? Ok. Dual-Band-WLAN? Ok. Funk einschließlich des in Deutschland wichtigen LTE-Bandes 20 auf SIM-Karte eins oder zwei? Ok. Nachdem die Hersteller-Firma offenbar finanzielle Probleme hatte, erlebt das S3 dank neuer Firmware-Unterstützung nun seinen zweiten Frühling.

Dass das Gerät nicht ganz taufrisch ist, merkt man nur am fehlenden Fingerabdruck-Scanner, den andere chinesische Hersteller inzwischen mehr oder weniger gelungen einbauen. Ansonsten ist es aber im Klassen-Vergleich überdurchschnittlich ausgestattet: Bieten andere China-Phones nur die Minimal-Ausstattung an Sensoren, kommt das Jiayu S3 zusätzlich mit Magnetsensor (Kompass) und Gyroskop, so dass VR-Apps genutzt werden können; auch eine Gestensteuerung ist möglich und kann in einem nicht eingedeutschten (englischen) Extra-Menü konfiguriert werden. Ein echtes Alleinstellungsmerkmal selbst im Vergleich zu Markengeräten dieser Preisklasse stellt die NFC-Fähigkeit dar. Die meisten China-Hersteller unterstützen bestenfalls die Mediatek-eigene Technologie Hotknot, die in Europa nicht gebräuchlich ist. Die 13-Megapixel-Kamera von Sony macht ordentliche Fotos und hat einen hellen Dual-LED-Blitz zur Seite gestellt bekommen.

Vor drei Jahren war der 3.000-mAh-Akku, den Jiayu im damaligen Spitzenmodell G3T lieferte, noch etwas Besonderes. Heutzutage ist der 3.000-mAh-Akku im Jiayu S3 nicht Besonderes mehr, zumal ein recht neuer chinesischer Hersteller namens Oukitel ein (ansonsten mäßig ausgestattetes) Akku-Monster mit 10.000 mAh offeriert. Das Jiayu S3+ bringt es auf ordentliche Standby-Zeiten, selbst wenn beide SIM-Karten aktiv sind. Bei meinem Test wurden nach knapp fünf Tagen, an denen das Telefon kaum genutzt wurde, immer noch 55 Prozent Akku-Kapazität angezeigt. Anders sieht es aus, wenn der knackige Full-HD-Bildschirm länger leuchtet, wenn Fotos geschossen werden oder wenn Apps wie Facebook im Hintergrund ständig Daten saugen. In einem solchen Mischbetrieb mit viereinhalb Stunden Bildschirm-Nutzung hielt auch der pralle Akku das Jiayu nur noch eineinhalb Tage durch.

Am günstigsten bekommt man China-Phones wie das Jiayu S3+ beim Händler in China oder Hongkong; der Preis ist allerdings nicht mehr ganz so niedrig, wenn noch 19 Prozent Einfuhrumsatzsteuer und Versandkosten aufgeschlagen werden. Wer das Zoll -und Versandrisiko aus China sowie längere Lieferzeiten scheut, kann bei einem chinesischen Händler kaufen, der die Geräte schon selbst in die EU eingeführt hat. Man sollte darauf achten, dass der Importeur/Händler ein Widerrufsrecht nach europäischen Maßstäben einräumt und das Gerät im Falle einer Rücksendung nicht nach China verschickt werden muss. Ein Kauf über den Amazon-Marktplatz (mit „Versand durch Amazon“) oder Ebay (mit Plus-Garantie oder zumindest Paypal-Käuferschutz) bringt zusätzliche Sicherheit.

Das Problem chinesischer Importe bleibt die Reparatur, mit oder ohne Garantie. Geht das erworbene Gerät einmal kaputt, muss man sich mit dem chinesischen Service des Händlers auseinandersetzen (für ordentliche Deutsche durchaus eine Erweiterung des kulturellen Horizonts, ansonsten aber nicht vorteilhaft) und das Gerät in der Regel (sofern eine Einigung über die Reparaturbedingungen erzielt wurde) ins Reich der Mitte zurückschicken.

Bei Jiayu hat der Käufer aber noch eine weitere Option: Wer beim deutschen Distributeur einkauft, tut dies zu hiesigen gesetzlichen Rahmenbedingungen (einschließlich Widerrufs- und Gewährleistungsrecht sowie ein Jahr Werksgarantie) und kann ein defektes Gerät bequem zur Garantiereparatur nach Kassel einsenden. Dafür wird allerdings ein deutliches Aufgeld fällig: So kostete das Modell S3+ zum Zeitpunkt, als dieses Posting verfasst wurde, beim chinesischen Importeur auf dem Amazon-Marktplatz 179 Euro, bei Jiayu Deutschland hingegen 229 Euro.

PS: Nachdem Jiayu im Jahr 2015 Berichten zufolge in finanzielle Schieflage geraten war, haben einer Ankündigung zufolge im Juni 2016 Jiayu Deutschland und Jiayu Spanien gemeinsam das chinesische Mutterhaus übernommen. Ein versprochenes Jiayu S4 ist aber nicht erschienen. Der Kasseler Jiayu.de-Store arbeitet weiterhin und bietet Service an.

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