Seit Dezember verwende ich auf meinem Büro-PC die auf dem allgegenwärtigen Ubuntu Linux aufsetzende Distribution OpenGEU (vorher: Geubuntu), die sich die grafischen Fähigkeiten des in Dauerentwicklung stehenden Fenstermanagers Enlightment in seiner neuesten Inkarnation E17 zunutze macht. Man kennt das ja aus der Modebranche: Die Kleider sollen optisch etwas hermachen, und die Models, die sie vorführen, müssen schlank sein. Schlank und schön will auch OpenGEU sein. Kein Wunder, dass die Distribution aus Italien kommt und ihr Spiritus Rector Darkmaster alias Luca D.M sich selbst nicht als Hacker, sondern als Künstler und Designer bezeichnet.
Während der Schlankheitswahn in der Modebranche schon sprichwörtlich ist, erkranken bisher erstaunlich wenige Computer an Bulimie. Im Gegenteil: Windows-Nutzer stöhnen über das fettleibige Vista, dass erst mit zwei Gigabyte RAM so richtig rund läuft. Linux-Nutzer würde das herzlich wenig interessieren, wäre ihr Pinguin-System nicht selbst schon auffällig geworden: Auch die beiden bekanntesten und zweifelsohne komfortabelsten Desktop-Umgebungen KDE und Gnome kommen inzwischen recht aufgeschwemmt daher. Installiert man dann noch den 3D-Effekthascher Compiz, der entsprechende Grafik-Power voraussetzt, fühlt sich Linux genauso Whopper-artig an wie Vista. Umso bedauerlicher, wenn man – wie ich – dem Gnome stets deshalb den Vorzug gegeben hatte, weil er optisch seinem Willen zu aufgeräumtem Minimalismus Ausdruck gegeben hatte.
Auf der Suche nach einem flotteren Linux bin ich dann zunächst bei XFCE als Desktop-Manager angelangt. XFCE ist zwar keineswegs von gestern, wird aber gerne für ältere Systeme empfohlen, weil es ressourcenschonender arbeitet. Ich kann das bestätigen, aber auch keine Wunder verkünden. Seit nunmehr einem Jahr läuft hier Xubuntu – das Ubuntu-Derivat mit XFCE – auf einem alten 500-Mhz-PC mit 196 MB RAM recht flüssig, aber auch nicht spürbar schneller als Windows 2000. Vieles fühlt sich inzwischen an wie von Gnome gewohnt. Desktop-Icons und Drag-and-Drop werden vollkommen unterstützt – jenseits von Gnome und KDE durchaus keine Selbstverständlichkeit, wie wir auch bei E17 noch sehen werden.
Der XFCE-eigene Dateimanager Thunar ist – obwohl noch nicht bei der Version 1.0 angelangt – stabil und flott, allerdings fehlt ihm die bei seinem Vorgänger xffm und bei Gnomes Nautilus eingebaute Unterstützung für Samba-Shares, um beispielsweise transparent auf Windows-Freigaben zuzugreifen. In den Ubuntu-Repositories gibt es einige GUIs, um diese Fähigkeit nachzurüsten, ohne das Kommandozeilen-Tool smbclient bemühen zu müssen. Statt des veralteten LinNeighborhood sei hier die optisch modernere Variante pyNeighborhood empfohlen; leider ist deren Entwicklung laut Homepage auch eingestellt worden.
Andere Lücken bei XFCE haben die Xubuntu-Leute seit der Version 7.10 verstärkt mit Gnome-Programmen gestopft – und damit dem alten Mantra entsagt, die Distribution nicht mit Gnome-Bibliotheken anzufuttern. So gehört nun beispielsweise wie bei Ubuntu der NetworkManager dazu, der WLAN-Verbindungen samt WPA-Authentifizierung managt – praktisch für Notebook-Nutzer, aber es gibt auch Gnome-freie Alternativen. Mir gefällt das rein GTK-basierte Wicd inzwischen am besten. Leider ist es nicht in den offiziellen Repositorys, so dass man deb-Pakete aus einer (bislang gut gepflegten) Fremdquelle laden oder von Hand aus dem Sourcecode installieren muss.
Eine runde XFCE-Implementierung wie bei Xubuntu ist also eine gute Sache. Vergleichweise schlank ist sie auch immer noch. Aber schön? An dieser Stelle kommt nun E17 ins Spiel. E17 ist die neue Version des Fenstermanagers Enlightment. Die Entwickler versprechen damit einen grafische anspruchsvollen, aber schlanken Desktop, der selbst auf Grafikkarten ohne 3D-Beschleunigung seine Schönheit entfalten soll. Das macht Appetit, doch leider ist E17 „still in heavy development“, und daran will sich seit Jahren nichts ändern.
Wer sich an E17 versuchen wollte, hatte bisher das Problem, dass die Distribution seines Vertrauens – in meinem Fall also Debian oder Ubuntu – schlicht keine Installationspakete anbot. Zur handgemachten, mundgeblasenen Installation aus Entwicklerquellen fehlt mir aber der Fricklergeist – zumal man ähnlich wie in Debian unstable gewahr sein muss, dass ein Update Teile des System „broken“ machen kann.
Inzwischen gibt es aber eine Handvoll Distributionen, die eine mundgerechte E17-Installation versprechen. Neben dem wohl eher puristischen Elive, das auf Debian aufsetzt, kamen Ende 2007 zwei neue Player auf den von Ubuntu gemähten Rasen. Da wäre zunächst einmal gOS – gerne auch fälschlich als „Google-OS“ bezeichnet, weil einige von Google entwickelte Programme gleich mitinstalliert werden -, dem eine gewisse Verbreitung in den USA zuteil wurde, da der Discounter Wal Mart Billig-PCs mit eben jener Distribution vorinstalliert in die Regale stellte. Schaut man sich allerdings die gOS-Website an, fällt auf, dass dort trotz polierter Optik wenig Handfestes über das System zu finden ist. Hinter dem Support-Link verbirgt sich ein FAQ-artiges Forum, in dem sich vor allem ratlose Nutzer verewigt zu haben scheinen.
Blieb also für eine Erleuchtung durch Enlightment das italienische Geubuntu, das seinen Namen inzwischen aus rechtlichen Gründen in OpenGEU verändert hat. Weil E17 ein Fenstermanager ist, aber kein ausgewachsener Desktop, benutzen die Macher als Untersatz wieder Gnome. Daher auch das hübsche Motto: „When a Gnome reaches Enlightment.“
Zur Installation brennt man ein Live-CD-Image, staunt nach erfolgreichem Booten das erste Mal über den von E17 mit Glitzereffekten dezent animierten Desktop, den il Signore Darkmaster mit zwei Themen – dem hellen Sunlight und dem dunklen Moonlight – ausgestaltet hat und verspürt dann durchaus Appetit, das Ganze mal richtig von der Festplatte zu verkosten. Macht ja nicht dick. Die Installation läuft wie von Ubuntu gewohnt ab.
Wer bereits eine exitierende Xu|Ku|U|Sonstwas-buntu-Installation auf der Platte hat, kann OpenGEU aber auch aus den Paketquellen nachinstallieren und dann per Session-Auswahl parallel zu seinem gewohnten Desktop ausprobieren. Ich selbst habe zunächst von einer Alternate-Install-CD ein Ubuntu-Basis-System – ohne grafischen Desktop – frisch installiert und das damalige Geubuntu dann Debian-typisch über den Paketmanager apt heruntergeladen. Das funktionierte ohne größere Probleme (das kleinere Problem war, dass der Fenstermanager danach nicht startete, weil schlicht und einfach Xorg noch nicht mitinstalliert worden war).
Da E17 und die OpenGEU-Pakete nicht in den offiziellen Ubuntu-Paketquellen enthalten sind, gilt es, diese noch bekannt zu machen. Zwei neue Paketquellen – eine für das E17-Repository, die andere für den OpenGEU-Destop, müssen der Datei /etc/apt/sources.list hinzugefügt werden:
deb http://e17.dunnewind.net/ubuntu gutsy e17
deb http://download.tuxfamily.org/geubuntu gutsy/
Danach bringt ein beherztes
sudo apt-get update && apt-get install opengeu-desktop
das neue System auf die Platte.
Achtung: Zum Zeitpunkt, als dieser Blogeintrag verfasst wurde, enthielt das OpenGEU-Wiki noch eine andere, allerdings nicht mehr funktionierende Paketquelle für 64-Bit-Installationen. Bitte diese nicht verwenden, sondern für 32- wie 64-Bit-Systeme die obigen Quellen benutzen!
Diese Warnung signalisiert schon, dass es beim OpenGEU-Support noch hakt. Kein Wunder, die Distribution wird einem Enthusiasten und wenigen Mitstreitern in der Freizeit gemacht, eine Nutzer-Community muss sich erst noch herausbilden, wie auch ein Blick in das sich gerade erst zu füllen beginnende Forum zeigt. Selbst der Download gerät zum Geduldsspiel, weil sich die Betreiber keine großen Hosting-Kapazitäten leisten können. Das Life-CD-Image gibt es bisher nur für die 32-Bit-Version. Mit anderen Worten: Ohne eine Portion Abenteuerlust sollte sich niemand an OpenGEU wagen – als Belohnung bekommt man dann aber einen Desktop, der sensationell schnell startet und sich bei der Arbeit wirklich schlank anfühlt.
Schlank – und schön? Das liegt natürlich im Auge des Betrachters. Fest steht, dass E17 nei niedrigem Anspruch an die Grafik-Hardware hohes „Eye Candy“-Potential hat. Der Login-Manager Entrance sorgt für eine elegante, aber schnelle Anmeldung, das Engage-Dock hat Gummiball-artige Mouse-over-Effekte und wird gerne als Nachbau von Apples OS-X-Dock verwendet – braucht dafür aber eben keinen 3D-Compiz-Mumpitz wie der vermutlich in nächster Zeit stark kommende Avant Window Navigator AWN. Weitere Module können nach Geschmack angeordnet und angepasst werden, ohne dafür jemals eine Konfigurationsdatei anfassen zu müssen. Mit Fug und Recht lässt sich sagen, dass E17 – obwohl noch nicht fertig entwickelt – anders ist als die anderen.
Insgesamt läuft das System rund und absturzfrei. Ein paar Nickligkeiten gibt es (zumindest bei mir). Wegen eines E17-Bugs, der die Abmeldung bei der Beendigung des XFCE-eigenen Panels haken ließ, sind die Entwickler schließlich auf Fbpanel umgestiegen – kein sonderlich attraktives oder suaberes Ausweichmanöver, zumal laut Paketmanager weiterhin Abhängigkeiten zum XFC4Panel existieren. Demnächst werde ich es wohl mit dem kleinen Bruder Trayer versuchen – um Applets wie den Update-Notifier unterzubringen, reicht ein einfacher Systray.
Kein Fehler, sondern ein Feature von E17 ist die rudimentäre Unterstützung für Desktop-Icons. Vielleicht wollen die Macher ja, dass niemand den schönen Desktop zukleistert. Leuten wie mir, die darauf gerne Dateien und Ordner ablegen, wird diese Angewohnheit jedenfalls empfindlich vergällt, weil auch das Drag-and-Drop dorthin nicht funktioniert. Man muss die Dateien schon in den Desktop-Ordner des Dateimanagers verschieben, damit sie auf dem Desktop auftauchen.
Ist E17 also schon für den Produktiveinsatz geeignet? Ich würde sagen: Jein. Die Antwort klingt unausgegoren? Dann wird es jetzt noch ein bisschen unausgegorener: Ich würde (noch) niemandem empfehlen, OpenGEU auf seinem Arbeitsrechner zu installieren – obwohl ich ja selbst genau dies gemacht habe. Zwingende Logik, nicht wahr? Aber es besteht noch Hoffnung auf – Erleuchtung.