Drum prüfe, wer sich das Thunderbird-Upgrade ans Bein bindet

Wird die klassischen Menüleiste deaktiviert und das App-Menü genutzt, ist der Look von Mozilla Thunderbird mit den „light theme“ sogar recht „modern“.

„Breaking news“ im wahrsten Sinne des Wortes kommen dieser Tage vom nicht tot zu kriegenden E-Mail-Programm Thunderbird: Ein Upgrade der viele Jahre von der Mozilla-Stiftung nur stiefmütterlich behandelten Anwendung von Version 60 auf 68 (die Versions-Nummerierung folgt jener des Firefox-Browsers) verspricht zwar ein paar weitere Verbesserungen in Sachen Optik und Benutzerführung; dummerweise kann diese Aktualisierung aber auch die Funktionalität von altgedienten Erweiterungen brechen, denn in den Eingeweiden des Donnervogels wird kräftig um- und aufgeräumt. So mahnt zum Beispiel das Add-On TbSync, das die Protokolle CalDav, CardDav und ActiveSync für Netzwerk-Kalender und -Adressbücher nachrüstet, seine Anwender, vor dem Upgrade noch eine Synchronisation durchzuführen, dann aber TbSync zu deaktivieren. Andere Erweiterung geben keine Warnungen von sich, funktionieren aber nach dem Upgrade gar nicht mehr.

Dahinter verbirgt sich ein ähnliches Problem wie zuvor bei Mozillas Firefox. Die Programmierer rüsten ihre Software auf eine neue Erweiterungs-Schnittstelle um; was beim Firefox WebExtensions hieß, nennt sich bei Thunderbird MailExtensions. Auf dem Weg dorthin entfernen die Entwickler Stück für Stück den Code für die alte Schnittstelle. Weil aber viele Add-Ons noch nicht auf den neuen Standard portiert oder zumindest teilweise angepasst worden sind, gehen sie kaputt – spätestens im Sommer 2020, wenn mit Erscheinen von Thunderbird 78 die alte API komplett abgeschaltet werden soll.

Since Thunderbird 60 was released, there have been many major changes to Thunderbird’s core. Almost every extension will require modifications for compatibility with the next Thunderbird, 68. Some changes are trivial, others not.developer.thunderbird.net über „Legacy Extensions“

Exkurs: Der Sonderfall E-Mail-Verschlüsselung

Einen Sonderfall stellt bei diesem Upgrade-Poker EnigMail dar, eine Erweiterung, die Verschlüsselung und Signierung per GnuPG nachrüstet. Einerseits kann und will der Enigmail-Entwickler sich nicht mehr die Mühe machen, seine Erweiterung auf die neue Schnittstelle zu portieren. Andererseits möchten die Thunderbird-Entwickler OpenPGP von Haus aus unterstützen, und zwar ab jener Version 78, so dass keine Erweiterung mehr notwendig ist. Das ist ein Glücksfall; allerdings klingen die Pläne zur Zeit noch recht nebülos; der Funktionsumfang wird wohl geringer sein als bisher bei Enigmail, das noch bis zum Ende von Thunderbird 68 funktionieren soll.

Und über allem schwebt die generelle Vertrauensfrage an das „Web of trust“, die Frage nämlich, wie sicher eine solche E-Mail-Verschlüsselung noch ist, nach Efail, nach Keyserver-Spam und nach Jahren in der Nerd-Ecke; Durchschnitts-Anwender haben EnigMail ohnehin nicht installiert und werden – so darf man wohl prognostizieren – auch in Zukunft keine E-Mails verschlüsseln, solange jedenfalls nicht, bis die Verschlüsselung so einfach funktioniert wie bei Signal oder Threema, bei Instant Messengern also, die ohnehin die Kommunikation per E-Mail alt aussehen lassen.

Immerhin: Am fehlenden Upgrade des Add-Ons Enigmail wird die Verschlüsselung nicht zu Grunde gehen; andere Add-Ons werden, weil ihre Entwickler den Aufwand des Portierens scheuen, hingegen einfach so verschwinden. Es bleibt dann den Anwendern überlassen, ob sie eine vergleichbare Erweiterung finden können oder, wenn nicht, sich ein anderes E-Mail-Programm suchen – die beiden großen Linux-Desktops bieten mit Evolution (Gnome) und Kontact (KDE) durchaus ernst zu nehmende Office-Alternativen an.

Ubuntu hat das Thunderbird-Upgrade erst Mal verschoben

Der Upgrade-Leidensdruck ist so groß, dass eine führende Linux-Distribution wie Ubuntu bislang Thunderbird 68 weder in seiner LTS-Version 18.04 (LTS steht für Langzeit-Unterstützung) noch in der aktuellen Ausgabe 19.04 ausliefert. Nein, man verharrt lieber auf Version 60 und stellt lediglich Sicherheits-Updates bereit, die allerdings von Mozilla nur bis September 2019 versprochen sind.

Zur Erinnerung: Version 60 war jene ESR-Version von Thunderbird (ESR bedeutet Extended Support Release und ist das Mozilla-Pendant zu Ubuntus LTS), die erstmals die neue API mitlieferte.

Im Profilmanager lässt sich testweise ein neues Profil erstellen und diesem dann der Speicherort einer Kopie des bisherigen Profils mitgeben.

Erst die am 17. Oktober 2019 erscheinende Ubuntu-Version 19.10, die bereits als Beta vorliegt, wird Thunderbird 68 ausliefern – und dann sollen wohl auch Backports für die anderen aktiven Releases folgen. Es ist daher keine schlechte Idee, vor dem Distributions-Upgrade schon einmal den neuen Thunderbird auszuprobieren, um hinterher nicht von „breaking“ News überrascht zu werden.

Zur Vorbeugung: den neuen Thunderbird parallel zum alten testen

Die neue Version lässt sich problemlos parallel zur alten betreiben, und das auch längerfristig, solange man alle Ressourcen im Netz lagert (zum Beispiel Mail per IMAP, nicht per POP herunterlädt, oder per POP ohne Löschung heruntergeladener Mails auf dem Server). Das geht so:

  1. eine Kopie des Profilordners (cp -pr ~/.thunderbird ~/thunderbird-new) anlegen.
  2. Thunderbird 68 bei Mozilla herunterladen und entpacken.
  3. Das Programm mit /pfad/zum/entpackten/thunderbird/thunderbird -P starten.
  4. Der Schalter -P startet die Kontoverwaltung. Hier sollte man ein „Profil erstellen“ mit einem Namen wie „Neu“ und als Ordner den frisch kopierten Profilordner in ~/.thunderbird-new/ auswählen. Der Profilordner ist jener Ordner, dessen Namen aus einer Buchstaben-/Zahlenkombination besteht und die Erweiterung .profile hat.
  5. „Thunderbird starten“. Nun kann man über den Menüpunkt „Extras“ die Add-Ons aufrufen und prüfen, welche Erweiterungen wegen Inkompatibilität deaktiviert wurden.
Gelbe Karte: Erweiterungen, die mangels Kompatibilität deaktiviert wurden, werden in der Add-Ons-Verwaltung farblich gekennzeichnet.

Bei meinem parallel installierten Thunderbird 68 unter Ubuntu 19.04 fehlte der Kalender, obwohl die zuständige Lightning-Erweiterung unter Add-Ons als installiert gelistet war. Ein Löschen und Neuinstallieren von Lightning aus Thunderbird heraus zauberte alles wieder hervor – die Anwendungsdaten blieben beim Löschen unangetastet. Die Release Notes verlinken übrigens auf einen Troubleshooting-Artikel extra für Lightning – dass eine fest zum Lieferumfang von Thunderbird gehörende Erweiterung sich nicht problemlos upgraden lässt, ist mehr als unglücklich.

TbSync und seine Netzwerk-Provider wurden durch das Upgrade erwartungsgemäß deaktiviert. Entfernen und Neuinstallieren der aktualisierten Erweiterungen lösten auch dieses Problem (obwohl ich TbSync nicht wie empfohlen vor dem Upgrade deaktiviert hatte). Das kleine, aber nützliche Add-On Outgoing Message Format ist schon seit Thunderbird 60 deaktiviert, und es ließ sich auch kein Upgrade mehr finden. Schade drum.

2 comments on “Drum prüfe, wer sich das Thunderbird-Upgrade ans Bein bindet”

  1. Danke Dirk, klar und präzise!
    Frage des einfachen Users: Warum diese ständigen Updates schon nach wenigen Stunden? Wirkt eher unzuverlässig für den 0815 User und nervt gewaltig, weil immer wieder Passwort Eingabe, die ich TB nicht anvertraue…

  2. Habe gerade mal nachgeschaut, es hat tatsächlich mehr Updates als sonst gegeben: 6.11., 9.11., 11.11., 18.11., 1.12., 14.12.2020. Auch mich wirkt das aber genau umgekehrt, nämlich zuverlässig, denn Mail-Programme sind (ähnlich wie Browser) besonders anfällig für Sicherheitslücken und bedürfen daher der ständigen Pflege und Aktualisierung. Unzuverlässig wäre, wenn nichts passieren würde. Was die Passwörter der Mailkonten angeht: Die speichere ich tatsächlich in Thunderbird, um sie nicht immer wieder neu eingeben zu müssen. Ja, damit sind sie, obwohl verschlüsselt auf der Platte gespeichert, im Klartext einsehbar. Dass kümmert mich aber nicht sehr, weil ich die ganze Festplatte verschlüsselt habe (Root-Verschlüsselung mit Luks), so dass ein Passwort-Klau nur bei laufendem Betrieb möglich wäre!

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