Prost Neujahr: Kontrolleure in Berlin

Hochbahnhof Möckernbrücke, Berliner U-Bahn
Das neue Jahr fängt ja gut an. Kaum zum ersten Mal wieder in die U-Bahn hinuntergestolpert, schon zerren zwei Berliner Kontrolleure in Zivil vier junge, unschuldige italienische Touristen aus dem Zug. 60 40 Euro erhöhtes Beförderungsentgelt kostet das Schwarzfahren pro Nase in Berlin. Da war der Easyjet-Flug von Milano Malpensa wahrscheinlich billiger.

Nun ist es ja so, dass der Berliner von Natur aus ein ruppiger Geselle ist. Viele Menschen von außerhalb halten das seltsamerweise für charmant. Ach, wie gerne hören Nicht-Berliner die sprichwörtliche Berliner Schnauze bellen, wie hinreißend erscheint ihnen gar der berühmte Berliner Humor! Als Spezialisten der Herz-und-Schnauze-Abteilung schlechthin gelten die Berliner Taxifahrer; dummerweise ist die Droschkenfahrt mit einem solchen Maulhelden nur zum königlichen Fahrpreis erhältlich.

Wer deshalb die öffentlichen Verkehrsmittel wählt, setzt sich der Gefahr aus, wie unsere italienischen Freunde von ungehobelten Fahrpreis-Eintreibern überfallen zu werden. Wenn sich das rumspricht, ist es vielleicht bald wieder vorbei mit dem Touristen-Ansturm auf die Kultur- und Trendstadt Berlin. Das wollen wir Berliner nicht, und deshalb sind ein paar Tipps zum Umgang mit dem hiesigen Kontrolleurswesen bzw. zu dessen Umgehung unbedingt angebracht.

Die Psychologie der Kontrolleure ist geprägt von einem Zwei-Klassen-System. Einerseits gibt es die BVG-angestellten Kontrolleure. Vermutlich waren sie früher mal Fahrkartenverkäufer oder Schaffner oder Angehörige eines anderen untergegangenen, wegrationalisierten Berufsstandes im Verkehrswesen. Das ist traurig, aber wenigestens dürfen sie auch als Kontrolleure immer noch die schönen blauen BVG-Uniformen zur Schau tragen. Sie tragen zeitlose Fönfrisuren, wie sie in Reinickendorf, Tempelhof und anderen Randbezirken en vogue sind und rollen mit ihrem Trupp janz jemütlich durch den Wagong, wa!

Die zweite Klasse bilden hingegen die Leiharbeiter des Kontrolleurswesens. Sie werden aus Einsparungsgründen über Drittfirmen verpflichtet und bekommen angeblich sogar ein Kopfgeld für jedes ertappte Opfer. Weil sie in räuberzivil auftreten, wirkt ihr Schlachtruf „Die Fahrausweise bitte“ wie eine Räuberpistole. Dennoch kann sie das geübte Auge erkennen. Untrügliche Anzeichen sind ihr paarweises Auftreten und ein besonders „unauffälliger“ Freizeit-Look. Hellbeige Gummi-Treter und einfarbige Kunststoff-Jacken führen hier klar zur Abwertung. Der wissende Fahrgast entdeckt zudem in Höhe des Hüftspecks eine Wölbung. Dort trägt der Kontrolleur einen Gürtel mit einer kleinen Brusttasche, in der das Kästchen steckt, mit dem die Sünder erfasst werden.

Im Lichte der Aufklärung betrachtet ist das Berliner Kontrolletti-System nur ein Abziehbild der Gesellschaft: Ob Zwei-Klassen-Kontrolle oder Zwei-Klassen-Medizin, immer muss es Leute geben, die gegen die anderen ausgespielt werden. Nach der BVG-Logik schädigen Schwarzfahrer nur die ehrlichen Mitbürger:

„Die BVG geht deshalb auch im Interesse der ehrlichen Fahrgäste gegen Schwarzfahrer vor und führt knapp 10 Millionen Kontrollen pro Jahr durch. Eingesetzt werden hierfür rund 200 eigene Kontrolleure sowie weiteres Personal von beauftragten Dienstleistern.“ (BVG-FAQ)

Klar, dass die Fahrpreise immer weiter steigen müssen. Zur Erinnerung: In Ost-Berlin fuhr man einst für 20 Pfennig Bahn; in West-Berlin ersonnen passionierte Null-Tarif-Verfechter eine Art Versicherungsfonds, der Erwischten die Gebühren erstatten sollte. Heute müssen Kontrolleure hingegen auf schnell rennende, gelegentlich sogar auf handgreifliche Fahrgäste gefasst sein. Die Verrohung der Sitten schreitet immer weiter voran. Allerdings ist die Kontrolleurs-Armada so abgefeimt, dass sie vorzugsweise zu Beginn eines neuen Monats ausschwärmt; eben um verschlafene Touristen zu schröpfen oder vergessliche Zeitkarteninhaber, die den Monatswechsel verpasst haben, abzustrafen.

Nur schweren Herzens mag man da jene mitfühlende Musical-Lyrik nachvollziehen, die noch vom sozialpädagogischen Geist der achtziger Jahre getränkt ist:

„Kontrolletti, Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an,
bist ja selbst ein armes Schwein, Kontrollettilein.“

(Linie 1, Grips-Theater, aus dem Gedächtnis zitiert)

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