Von Eisensammlern und einsamen Männern: Ex-jugoslawische Spielfilme bei der Berlinale 2013

Drei Spielfilme aus dem ehemaligen Jugoslawien wurden auf der Berlinale 2013 aufgeführt, politisch durchaus korrekt je eine bosnische, kroatische und serbische Produktion mit internationaler Finanzierung. Alle drei Geschichten spielen in der Gegenwart in Bosnien oder haben dort zumindest ihren Ausgangspunkt. Und ja: Der Krieg ist zumindest in zwei der drei Filme weiterhin präsent.

Als der frühere Bremer Bürgermeister Hans Koschnick 1994 als EU-Beauftragter für zwei Jahre nach Mostar ging, um den Wiederaufbau der zwischen Moslems und Kroaten geteilten Stadt zu koordinieren, trat er eine fruchtlose Mission an. Einmal wurde ein Granate auf sein Hotel geschossen, ein anderes Mal attackierte ein kroatischer Mob seine gepanzerte Limousine unter den Augen der tatenlos zuschauenden Polizei. 1996 trat Koschnick vorzeitig zurück.

16 Jahre später hat sich unter der Oberfläche nicht viel geändert, glaubt man dem Film Obrana i zaštita (englischer Titel: „A Stranger“) des in Mostar geborenen kroatischen Regisseurs und Drehbuch-Autors Bobo Jelčić. Die Brücke über die Neretva mag zwar wieder aufgebaut sein, doch die Stadt in der Herzegowina ist immer noch zerissen. In Jelčićs Film gibt es keine Gewalt mehr, sondern nur noch gewaltige Beklemmung, verkörpert durch die Hauptfigur Slavko. Wie ein lästiges Insekt umkreist die Kamera von Erol Zubčević minutenlang seinen Schädel, versucht seine Gedanken und Ängste in der Nahaufnahme zu ergründen und dringt doch nicht durch. Der serbische Schauspieler Bogdan Diklić spielt – mit bosnischem Zungenschlag – diesen Mann, der zur Beerdigung eines Freundes auf der anderen – der muslimischen – Seite von Mostar eingeladen ist und daran zu verzweifeln droht. Wird man ihm nachsagen, er habe die Seiten gewechselt? Und vor allem: Was hält Dragan davon, die Godot-Figur dieses Films – vermutlich ein Beamter oder Politiker -, bei dem Slavko beflissen auf einen Termin zur Vorsprache wartet?

Es ist schließlich Slavkos Frau, die ausspricht, wie die Dinge stehen: Mostar sei nur noch eine leblose Stadt; wer noch nicht weg ist, sollte besser gehen. Jelčić hat einen feinen Film, ein bis in groteske Reaktionen genaues Psychogramm entworfen. Die  Schweigsamkeit wird nur gelegentlich von emotionalen Ausbrüchen oder sehr balkanischen Diskussionen über Belanglosigkeiten aufgebrochen. Zweimal sehen wir, wie sich Slavko selbst umbringt; und doch geht alles weiter, als wäre nichts gewesen. Er kommt nicht aus seinem Dilemma heraus.

Eine ungleich größere Produktion hat der serbische Regisseur Srđan Golubović mit Krugovi („Circles“) zur Europapremiere (der Film lief vorher in Sundance und wurde dort mit einem Sonderpreis prämiert) nach Berlin gebracht. Golubović hatte 2007 mit Klopka („Die Falle“) sein Berlinale-Debüt gegeben; die Fertigstellung des Nachfolgers hat sechs Jahre gedauert. Das Drehbuch (Melina Pota und Srđan Koljević) beruht auf einer wahren Gegebenheit aus dem Jahr 1993: Während des Kriegs wird ein serbischer Soldat in dem Städtchen Trebinje (heute: Republika Srpska) zusammengetreten und getötet, als er einen muslimischen Kioskverkäufer gegen drei Kameraden verteidigt. Der Film nimmt diesen Fall als Ausgangspunkt und sucht 15 Jahre später die überlebenden Protagonisten wieder auf.

Er habe keinen Kriegsfilm machen wollen, sagt Golubović, sein Film stelle vielmehr die Frage, was – jenseits allen Kriegs-Gräuels – von der heroischen Tat eines Einzelnen bleibe, welche Kreise sie ziehe. Mit parallelen Handlungssträngen in einer Plattenbau-Siedlung in Halle an der Saale, in den Blokovi Neu-Belgrads und eben in Trebinje erschafft Golubović ein kunstvoll verknüpftes und eindrucksvoll fotografiertes (Kamera: Aleksandar Ilić) Epos, das im Berlinale-Forum lief, aber dem Wettbewerb gut zu Gesicht gestanden hätte.

In den Wettbewerb schaffte es der bosnische Regisseur Danis Tanović mit seiner Epizoda u životu berača željeza („An Episode in the Life of an Iron Picker“) – dem Überraschungsfilm des Festivals. Mit Minimalbudget – 17.000 Euro -, Handkamera und Laiendarstellern berichtet der Film aus dem ärmlichen Leben einer Roma-Familie in einem einsamen Dorf irgendwo in Bosnien, offenbar im serbischen Teil. Der Vater sammelt Eisen für den Lebensunterhalt und trinkt danach mit dem Kumpel einen Schnaps, die Mutter kocht und wäscht, die Kinder werden von schemenhaften Fernsehbildern dauerberieselt. Als die Mutter eine Fehlgeburt erleidet und dringend operiert werden muss, wird das Ehepaar mangels Krankenversicherung und Bargeld im Krankenhaus abgewiesen: zwei Mal. Keine Chance. Kein Erbarmen.

Tanovićs Drehbuch ist die Anklage eines himmelschreienden Unrechts bar jeder Sentimentalität – doch die quasi-dokumentarische Kamera (wie in „Obrana i zaštita“: Erol Zubčević) und das hölzerne Spiel lassen einen seltsam kalt. Dabei haben die Laien-Darsteller diese „Episode“ sogar selbst erlebt, was die Jury unter Vorsitz des Chinesen Won Kar Wai so stark beeindruckt haben mag, dass sie gleich zwei Silberne Bären spendierte: Tanović, der mit seinem Filmdebüt No Man’s Land (2001) schon die Goldene Palme im Cannes und den Oscar gewonnen hat, nahm den Großen Preis der Jury entgegen, und Eisensammler Nazif Mujić wurde als bester Hauptdarsteller geehrt.

Und die Frau des Eisensammlers? Schließlich ist sie es, die eine Fehlgeburt erleidet und an einer Blutvergiftung zu sterben droht; doch das Drehbuch interessiert sich mehr für den männlichen Part. Auch der einsam verzweifelte Held in Mostar ist ein Mann, und „Krugovi“ handelt von Männer-Konflikten, in denen Frauen nur als Nebenfiguren oder Opfer erscheinen. In Sachen Gender-Mainstreaming war Jasmila Žbanić mit der Mutter-Tochter-Erzählung Grbavica („Esmas Geheimnis“), dem Berlinale-Sieger von 2006, schon viel weiter. Die Berlinale 2013, so wurde häufig geschrieben, sei ein Filmfestival der sozialen Konflikte und der starken Frauen. Von letzteren war in den drei ex-jugoslawischen Spielfilmen dieses Festval-Jahrgangs nichts zu sehen.

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