Ist die VG Wort noch zu retten? Und wenn ja, warum?

VG_WORT_Geschaeftsgericht
Einladung und Geschäftsbericht der VG-Wort

Eigentlich müsste es der VG Wort in diesen Tagen goldig gehen. Nach jahrelangem Rechtsstreit mit der Geräteindustrie kann die Verwertungsgesellschaft, die Vergütungen für Vervielfältigung und Verleih urheberrechtlich geschützter Texte an rund 179.000 Autoren und 1000 Verlage ausschüttet, für das Geschäftsjahr 2015 Einnahmen von 305 Millionen Euro bilanzieren; die Drucker-Hersteller zahlten rückwirkend für 2001 bis 2007 155,5 Millionen Euro Tantiemen nach. Ein ähnlicher außergerichtlicher Vergleich mit den PC-Herstellern, der fürs nächste Jahr einen weiteren Geldsegen verspricht, wurde gerade erst geschlossen. So schön könnte die Welt sein. Doch die VG Wort, der Rechtsform nach ein Verein, der die Interessen von Verlagen und Autoren gemeinsam wahrnimmt, steckt in der größten Krise ihrer 58-jährigen Geschichte und vor einer Zerreißprobe, die sie vielleicht nicht überleben wird.

„Schuld“ daran ist der Urheberrechtler und Nebenbei-Autor Martin Vogel, der 2011 die VG Wort exemplarisch verklagte, weil er als Urheber die Tantiemen mit seinem Verlag teilen musste. Der Streitwert betrug zwar nur ein paar tausend Euro, doch der Rechtsstreit durch alle Instanzen entwickelte höchste Sprengkraft. Schließlich bestätigte der Bundesgerichtshof am 21. April 2016: Der Verteilungsplan, der Verlage zu 30 bzw. bei wissenschaftlichen Texten zu 50 Prozent an den jährlichen Ausschüttungen beteiligt, ist unwirksam; Verwertungsgesellschaften dürfen ihre Einnahmen aus der Rechtewahrnehmung „ausschließlich an die Inhaber dieser Rechte und Ansprüche“ ausschütten. Die Inhaber, das sind, sofern sie die Rechte nicht ausdrücklich abgetreten haben, natürlich die Urheber, nicht die Verlage.

Ob Vogel als Held oder als Schurke in die Geschichte des Urheberrechts eingehen wird, muss sich allerdings noch erweisen. Für den Journalisten-Verband Freischreiber ist er ein preiswürdiger Robin Hood. Fragt man hingegen Mitglieder und Funktionsträger der VG Wort, selbst jene aus den etablierten Autoren-Verbänden, kommt der weißhaarige Jurist eher für die Rolle des Bösewichts in Frage, weil er das immer schon praktizierte Modell der gemeinsamen Verwertung zu Fall gebracht hat – aus verletzter Eitelkeit, wie gerne noch hinzugefügt wird. Aber vielleicht gibt es im Lager der VG Wort auch einfach nur zu viele schlechte Verlierer.

Entsprechend erhitzt ging es auf der alljährlichen Versammlung der „Wahrnehmungsberechtigten“ am 3. Juni in Berlin zu. Ein paar Vogel-Fans versuchten sich als Provokateure, im Ehrenamt ergraute Funktionäre, die das Resultat ihrer langjährigen Gremienarbeit in den Scherben des Undanks zerdeppert sehen, betätigten sich als Claqueure.

Vogel persönlich warf der VG-Wort-Führung vor, die Urheber benachteiligt und selbst nach der erstinstanzlichen Niederlage 2012 weiterhin Tantiemen an die Verlage (wenn auch unter Vorbehalt) ausgeschüttet zu haben. Das Geld muss nun zurückgefordert werden. VG-Wort-Geschäftsführer Robert Staats verteidigte die Vorgehensweise mit Hinweis auf die „unsicheren Rechtslage“ und musste einräumen: „Der Bundesgerichtshof hat gegen uns entschieden, aber das war 2012 nicht absehbar.“ Erst 2015 wurden die Zahlungen an die Verlage gestoppt.

Die Bilanz ist verheerend: Rund eine Million Euro hat die VG Wort für Gutachten, Rechtsberatung und Prozesskosten versenkt – Geld, das normalerweise hätte ausgeschüttet werden können. Das gilt auch für die Rückstellungen in Höhe von 109 Millionen Euro, gebildet für den Fall, dass die Verlage die zu Unrecht vereinnahmten Tantiemen nicht zurückzahlen können oder wollen.

Zwar hat der Verlag C.H. Beck gerade Verfassungsbeschwerde eingereicht, wie auf der Versammlung zu hören war; das BGH-Urteil ist dennoch rechtskräftig und muss umgesetzt werden. Die VG Wort will deshalb ihren Verteilungsplan ändern und dann über Rückforderungen gegenüber den Verlagen entscheiden. Zwei außerordentliche Mitgliederversammlungen am 10. September und 26. November 2016 sollen darüber entscheiden.

Wie viele Millionen die VG Wort nun zurückerstatten muss, kann und wird, steht noch gar nicht fest. Der zweite Geschäftsführer Rainer Just stellte „zunächst mal eine Abschlagszahlung“ in Aussicht. Laut VG Wort können von den Verlagen Rückzahlungen bis ins Jahr 2012 verlangt werden, da eine dreijährige Verjährungsfrist gelte, die 2015 unterbrochen wurde. Insgesamt geht es um rund 280 Millionen Euro, die für die Jahre 2012 bis 2014 laut Geschäftsberichten an Autoren und Verleger ausgeschüttet wurden. Eine auf Medien spezialisierte Berliner Anwaltskanzlei empfiehlt Urhebern sogar, auf eine zehnjährige kenntnisunabhängige Verjährungsfrist zu pochen.

Dass nun auch die Verleger-Vertreter innerhalb der VG Wort über Umverteilung und Rückforderungen zu ihren Ungunsten entscheiden müssen, ist eine besondere Ironie des BGH-Urteils. Allerdings hat die VG Wort die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich die gemeinsame Rechtewahrnehmung doch noch retten lässt. „Wir setzen uns weiterhin dafür ein und hoffen auf eine Regelung auf der nationalen oder europäischen Ebene“, so Geschäftsführer Staats. Er beruft sich darauf, dass die Bundesregierung schon 2008 den Paragrafen 63a des Urheberrechtsgesetzes erweitert hat – in der Absicht, „dass die Verleger auch in Zukunft an den Erträgen der VG Wort angemessen zu beteiligen sind“, wie es in der Begründung des Regierungsentwurfs heißt.

Schlampiger Gesetzgeber: Die BGH-Richter haben diese Begründung zwar ebenfalls gelesen, aber in der Urteilsbegründung mit einem Federstrich kassiert: „Darauf kommt es jedoch schon deshalb nicht an, weil diese Erwägung im Gesetz keinen Niederschlag gefunden hat.“ Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber hat schlampig gearbeitet.

Sei’s drum, ließe sich aus Autorensicht sagen: Schließlich waren die Gesetzesinitiativen der Bundesregierungen seit dem (von der Verleger-Seite wirksam verwässerten) Versuch der sozialdemokratischen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, mit der unter anderem von Kläger Vogel entworfenen Urheberrechtsnovelle 2002 die Werkschöpfer „auf Augenhöhe“ zu den Verwertern zu bringen, alles andere als Urheber-freundlich. Doch die Hoffnung, dass Autoren nicht nur rückwirkend, sondern auch in Zukunft wirklich 100-prozentig vom Kuchen profitieren, könnte sich als trügerisch erweisen.

Gerätehersteller als Profiteure? Ein realistisches Szenario: Die Verlage werden ein eigenes Verwertungsrecht durchsetzen (was die Presseverlage schon in einer besonderen Show-Einlage für Internet-Schnipsel gemacht haben) und auf dieser Basis eigene Verwertungsgesellschaften in den Ring schicken, die dann wiederum eigene Verträge mit den Herstellern von Kopierern, Druckern, Speichermedien und PCs schließen. Die bisher gemeinsam ausgehandelten Verträge wären hinfällig. Alles müsste neu ausgehandelt werden.

Dass die Hersteller künftig höhere, gar doppelte Urheberrechtsabgaben für ihre Geräte zahlen werden, dürfte aber eher ein frommer Wunsch sein. Im Gegenteil: Beim Reprobel-Urteil des Europäischen Gerichthofes, auf das sich auch der BGH bezieht, war es der Geräte-Multi Hewlett Packard, der mit seiner erfolgreichen Klage gegen den Verleger-Anteil die belgische Verwertungsgesellschaft erschütterte. Derweil fordert der deutsche Branchenverband Bitkom von der Bundesregierung schon mal präventiv einen umfassenden Systemwechsel. Möglichst „kostenneutral“ solle es in Zukunft zugehen für Hersteller und – Verbraucher. Um deren Wohl sorgen sich die Firmen so sehr, dass sie in der Regel die Geräteabgabe über eine Preiserhöhung auf die Käufer abwälzen.

Womöglich ist am Ende ja die Geräteindustrie der heimliche Gewinner des BGH-Urteils. Und womöglich muss man nicht einmal ein schlechter Verlierer sein, um diese Befürchtung zu hegen.

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