Android statt Vodafone 360: Das zweite Leben des Samsung H1

Samsung i8320 unter Android (CynagonMod) mit dem Boat Browser
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Erinnert sich noch jemand daran, wie Sascha Lobo und andere deutsche Netz-Prominente Werbung für einen neuen, angeblich revolutionären Internet-Dienst namens Vodafone 360 machten? Nein? Ist auch besser so. Denn nach nur zwei Jahren schaltete der TK-Riese den Service wieder ab. Schade ist es nur um das damals eigens gefertigte Telefon H1 a.k.a. Samsung i8320. Ein Smartphone so ganz ohne Apps und Ökosystem, das hört sich an wie ein Versetzungszeugnis für den Handy-Friedhof. Doch nicht so schnell. Das Gerät lässt sich nämlich dank des H1droid-Projektes mit Android flashen und rooten. Zugegeben, das klingt nun wiederum arg nach Technik-Frickelei; dabei hat das ehemalige Oberklasse-Smartphone ein zweites Leben verdient. Nebenbei leistet man als Konsument einen kleinen Beitrag für Nachhaltigkeit in einem Markt, der ständig neue Gadgets produziert, und trägt dazu bei, den Berg an Elektro-Schrott ein wenig kleiner zu machen.

H1droid ist ein hübsches Beispiel dafür, was ein paar engagiere Menschen ohne jegliche finanzielle und industrielle Unterstützung, nur mit einer Community im Rücken, bewirken können. Innerhalb von zwei Jahren hat es sich von einer – freundlich formuliert: – Design-Studie (Motto „Android startet, aber telefonieren kann man noch nicht“) zu einem fast 100-prozentig funktionstüchtigen Gingerbread-Smartphone-System entwickelt. Fast 100-prozentig deshalb, weil ein paar Nickligkeiten übriggeblieben sind. Dazu später mehr. Statt darüber zu meckern, sollte man allerdings bedenken, dass die großen Mobiltelefon-Hersteller ganze Entwicklungsabteilungen beschäftigen, um Googles Android an die spezielle Geräte-Hardware anzupassen (und das System sonstwie zu verwursten).

Lohnt der Aufwand? Im Zeitalter der Dual- und Quadcore-Prozessoren wirkt das i8320 natürlich angestaubt: Der 800-Mhz-Prozessor mag vor drei Jahren State of the art gewesen sein, heute kommen nur noch Einsteiger-Geräte so lahm daher. Doch im Gegensatz zu solchen Unter-100-Euro-Teilen glänzt das i8320 mit einem hellen, scharfen AMOLED-Display. Gute Displays werden heutzutage fast nur noch in großen Handys mit über vier Zoll Anzeigenfläche eingebaut. Das 3,5-Zoll-Display (480×800 Pixel) des Hosentaschen-freundlichen i8320 füllt da fast schon eine Marktlücke. Außerdem stecken im i8320 schon 16 GB interner Flash-Speicher (das sogenannte EMMC, erweiterbar mit einer externen Micro-SD-Karte bis 32 GB) drin; leider stehen unter Android aber trotzdem nur 300 MB Speicher für System und Apps zur Verfügung, so dass man sich bei Speichermangel mit Tricks zum Verschieben von Apps auf die SD-Karte (von mir ungetestet) behelfen muss.

Von Haus aus ist das Samsung i8320 mit dem schon lange toten Nischen-Betriebssystem Limo ausgestattet. Um auf Android umzusatteln, sind einige Klimmzüge nötig, zumal Samsung das System mit einem proprietären Bootloader verrammelt hat und ein eigenes Dateisystem (RFS) verwendet. Frühere Versionen von H1droid konnten deshalb nur von Micro-SD-Karte starten. Zum Glück ist der Umstieg von Limo auf Android und das Einspielen neuer ROMs mittlerweile recht einfach. Das ist vor allem einem deutschen Entwickler zu verdanken, der im H1droid-Forum unter dem Pseudonym r3d4 bekannt war. Er hat einen auf die Smartphone-Hardware zugeschnittenen Kernel kompiliert und die unabhängige Android-Distribution CyanogenMod 7 portiert. Zudem ist seine Arbeit dank eines Github-Repositories für andere Entwickler gut dokumentiert.

Das Um-Flashen von Limo auf Android erfordert – wie im H1droid-Forum auf Englisch beschrieben – das Aufspielen eines modifizierten Bootloaders (das sogenannte U-Boot). Dabei kommt zugleich das Clockwork Mode Recovery (CWM) aufs Handy. Hat man das einmal erledigt, kann man mit Hilfe eben dieses Recovery-Systems recht einfach neue ROMs und Updates installieren sowie Backups erstellen. In einem weiteren Posting habe ich Flash-Anleitungen und weitere nützliche Tipps auf Deutsch zusammengefasst.

Das Flashen geht in Minutenschnelle, kann aber – dieser Disclaimer darf nicht fehlen – im ungünstigsten Fall (wenn der Flash-Vorgang mittendrin mutwillig oder durch Stromausfall unterbrochen wird) das Gerät auch „bricken“, also zu einem unbenutzbaren Ziegelstein machen. Auf Garantieleistungen von Samsung darf man dann nicht mehr hoffen. Wer flasht, tut dies auf eigene Gefahr.

Und damit zu den oben angesprochenen Nickligkeiten. Zunächst: H1droid unterstützt praktisch die gesamte verbaute Hardware – interner 16-GB-EMMC-Speicher, SD-Karten-Steckplatz (bis 32 GB), UMTS/HSDPA, WLAN 802.11 b/g, Bluetooth, UKW-Radio, GPS. Der Licht-Sensor funktioniert nicht – da fehlt der Treiber, den Samsung nicht frei veröffentlicht. Ein weiteres bekanntes Problem: Das i8320 vergisst gerne mal die Zeit nach einem Neustart. Das ist in aktuellen ROMs aber gefixt, ebenso wie frühere Probleme mit Video-Aufzeichnungen oder stotternder Musik-Wiedergabe. Statt des Standard-Musik-Players von Android muss man beispielsweise Player Pro mit angepasster Cache-Größe installieren. Für die Videos bringt MX Player die richtigen Codecs mit. Aktuelle ROMs bringen diese Apps bereits mit; deshalb sollte man keine älteren ROMs installieren.

Das Gapps-Paket, mit dem CynagonMod die aus rechtlichen Gründen nicht enthaltenen Google-Anwendungen nachrüstet, sollte ebenfalls bereits vom jeweiligen ROM-„Koch“ installiert sein. Etwas Nacharbeit ist trotzdem noch nötig, wenn Google Talk  Authentifizierungs-Fehler meldet und der Play-Store sich weigert, neue Apps zu installieren. Auch zum ersten Einbuchen ins Netz und/oder zur Aufnahme von Datenverbindungen mit UMTS/3G muss man H1droid „überreden“. Mehr dazu im zweiten Teil dieses Postings unter Troubleshooting.

Ein aktuelles und empfehlenswertes ROM ist Kyanite. Der britische Entwickler Ashy hat sich viel Mühe gegeben, ein System zusammenzustellen, das energiesparend läuft (das i8320 besitzt immerhin einen 1500 mAh-Akku) und mit einer Auswahl an Anwendungen und Skripten gut auf das Gerät abgestimmt ist. Dank Swapping (bei Bedarf automatische Auslagerung des Arbeitsspeichers auf eine Swap-Datei) fühlt sich das System schneller an.

Zudem liefert Ashy ein Update samt Anleitung, um den System-Speicher für Apps auf eine zuvor erstellte eigene Partition auf der MIcro-SD-Karte auszulagern. Auf diese Weise kann man den begrenzten System-Speicher beliebig ausweiten. Will man den internen 16-GB-Gerätespeicher (EMMC) nutzen, muss man ein weiteres Update (etwa Enable EMMC, SD card as default storage) installieren, da der interne Speicher standardmäßig von Kyanite nicht eingebunden wird. Das hängt damit zusammen, dass einige H1droid-Nutzer ihren internen Speicher zerschossen haben. Es ist aber unwahrscheinlich, dass Samsung in einem ehemaligen Spitzen-Smartphone in Serie einen maroden Flash-Speicher verbaut hat. Bei mir jedenfalls funktioniert er wie am ersten Tag.

Unter dem Strich: Wer das Flashen nicht als Abschreckung, sondern als Herausforderung begreift, bekommt mit dem Samsung i8320 ein wiedergeborenes Smartphone zur Hand, das sich als gebrauchtes Stück beispielsweise in der Auktions-Bucht günstig schießen lässt. Und wer es nicht als Smartphone verwenden will, kann damit dank Android und Root-Rechten noch eine Menge anstellen, statt weiteren Elektro-Schrott zu produzieren.

13 comments on “Android statt Vodafone 360: Das zweite Leben des Samsung H1”

  1. Hi,

    eine sehr gute Sache dem Handy auf diese Art und Weise ein neues Leben zu geben. Ich mache sowas in der Art schon eine ganze Weile. Hatte HTC Defy welches dann irgendwann beim alten Android stehen geblieben war.

    Also Root Zugriff verschafft und ein Costum-Mod drauf. Heute läuft es immer noch und das um einiges schneller als mit dem alten System.

    Manchmal glaube ich, das durch das nicht mehr Updaten die Verkaufszahlen angekurbelt werden sollen.

    Grüße

  2. Habe gestern das Kyanite ROM aufgespielt. Die Apps funktionieren super, doch leider kann ich nicht telefonieren. Erst dachte ich, es ist ein Hardware Fehler (SIM Kartenleser defekt). Doch die Karte wird erkannt, die PIN abgefragt und es kamen sogar 2 SMS vom Provider O2. Aber es kommt immer die Meldung „Kein Netz“. Mit einer anderen SIM (leider auch O2) funktioniert es auch nicht. Was mache ich falsch?

  3. Hallo Manfred, zunächst: was mich irritiert ist, dass Du SMS von O2 bekommst, dann müsstest Du ja auch ins Netz eingebucht sein. Ansonsten: H1droid ist auch bei mir zickig, was das (erstmalige) Einbuchen ins Netz angeht. Bei meiner neuen T-Mobile-SIM kam auch die PIN-Abfrage, und danach passierte … nichts. In diesem Fall muss man dem Gerät auf die Sprünge helfen. Seitliche rote Taste -> Einstellungen -> Drahtlos und Netzwerke -> Flugmodus einschalten. Kurz warten. Dann Flugmodus wieder ausschalten. Dauerte bei mir 10, 20 Sekunden, bis das Netzwerk wieder gestartet war. Zur Not noch im Untermenü Mobilfunknetze -> Netzbetreiber wählen durchführen. Spätestens dann sollte er sich einbuchen. Dass er engebucht ist, sieht man auch oben am Netz-Icon in der Taskleiste. Beim Herunterziehen der Taskleiste erscheint außerdem der Provider-Name.

  4. Hi,
    danke, dass Du mal alles zusammengetragen hast!
    Der Comcorder-bug ist in dem vorgestellten Rom aber nicht behoben…!?!

    Viele Grüße
    Der_Affe

  5. Ich hatte heute auch das Kyanite-Rom aufgespielt. Alles funktioniert, nur ich bekomme kein Netz. Flugmodus ein/aus bringt keinen Erfolg. Die PIN auf erkannt. Die Installation klappe auch problemlos.
    Woran kann es liegen?

  6. Stimmt. Es ist mühsam. Nach meiner Erfahrung geht es nur mit einer Vodafone-SIM problemlos. Mit anderen Providern kann ich nur den Tipp geben: Geduldig sein. Das Umschalten in den Flugmodus kann eine halbe Minute dauern. Das Einstellungs-Menü aufrufen und erneut vergewissern, dass der Flugmodus aktiv ist. Dann Flugmodus wieder ausschalten oder Gerät erst neu starten (mit angeschaltetem Flugmodus) und nach dem Neustart Flugmodus wieder ausschalten. Es ist elend, aber es geht.

  7. Hatte genau das gleiche Problem. PlayerPro verwenden (ist beim Kyanite-ROM schon installiert) und den Audio-Puffer vergrößern: Settings > Audio > Audio buffer. Dann laggt nichts mehr.

  8. Hallo Dirk,

    nach den unter Methode 1: Update-Archiv flashen angewandten Beschreibung, erscheint folgendes im Display:

    CWM-based Recovery v5.0.2.8
    — Wiping cache…
    Formatting /cache…
    Cache wipe complete.
    Dalvik Cache wiped.

    — Installing: /sdcard/clockword/backup/2000-
    01-01.00.00.10/Kyanite-2013-04-04.zip
    Finding update package…
    Opening update package…
    Installing update…
    Installation aborted.

    Die SD-Card sieht wie folgt aus:

    .android_secure (Ordner, leer)
    clockworkmod
    backup
    2000-01-01.00.00.10
    – .android_secure.vfat.tar (tarfile, 2 KB)
    – boot (Datenträgerabbilddatei, 5.120 KB)
    – cache.yaffs2 (Datenträgerabbilddatei, 25 KB)
    – data.yaffs2 (Datenträgerabbilddatei, 44 KB)
    – Kyanite-2013-04-04 (ZIP-Datei, 184.093 KB)
    – nandroid.md5 (MD5-Datei, 1 KB)
    – recovery (Datenträgerabbilddatei, 5.120 KB)
    – sd-ext.ext3.tar (tarfile, 2 KB)
    – system.yaffs2 (Datenträgerabbilddatei, 11 KB)

    Mache das zum allerersten Mal und komme einfach nicht weiter. Bislang hat sich noch kein Betriebssystem gezeigt. Was habe ich übersehen oder vllt. verkehrt gemacht?

    Vielen Dank im Vorraus für die Hilfe.
    Konrad

  9. Das Kyanite-ROM soll per CWM geflasht werden, sehe ich das richtig? Sollte kein Problem sein, also ist da irgendwas kaputt. Hauptverdächtiger: Das zip-File ist beim Download ruiniert worden. Also nochmals herunterladen. Dann bitte gleich ins Wurzelverzeichnis der SD-Karte schieben, nicht in ein Unterverzeichnis. Und nochmals in CWM das Update starten. Jetzt geht’s aber, oder? Wenn nicht, mal eine andere SD-Karte versuchen.

  10. Habe ein Samsung H1 gerbraucht gekaujft, wusste nicht das nur Vodafon als Telegesellschaft verwendet werden kann. Wer kann mir helfen „Android statt Vodafone 360“ draufzuladen ?
    Verstehe zu wenig es selbst zu machen. Wohl altersbedingt (mitte 70).
    MfG
    Sven

  11. Hallo Sven Störner, würde Ihnen dringend raten, vom Kauf zurückzutreten, wenn das noch möglich ist. Die Android-Entwicklung für das Samsung H1 ist schon lange eingeschlafen, niemand macht da mehr was, und vermutlich findet man die notwendigen Dateien auch nicht mehr im Netz, weil die Download-Links erloschen sind. Vielleicht findet sich ja ein Privatmensch, der die Dateien noch hat und so nett ist, Ihr Telefon zu flashen?

    Ansonsten: Als Telefon und um ins Internet zu gehen können Sie das H1 auch mit der Original-Firmware verwenden – soweit ich mich erinnere, ist das nicht vom Vodafone-Netz abhängig.

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