Ubuntu 17.10: Was von Unity übrig blieb

Frisch aus der Box: Der Desktop von Ubuntu 17.10

Das am 19. Oktober 2017 erschienene Ubuntu 17.10, Kosename „Artful Aardvark“, ist die erste Ausgabe der beliebten Linux-Distribution seit 2011, die ohne den hauseigenen Unity-Desktop erscheint. Statt dessen installiert Ubuntu nun standardmäßig die Gnome-Shell – eine gewisse Ironie der Geschichte ist nicht zu verleugnen, wurde doch Unity einst als Gegenpol zum damals ebenfalls neu erschienen Gnome 3 konzipiert.  Im April 2017 hatte Ubuntu-Finanzier Marc Shuttleworth überraschend die Notbremse für Unity gezogen. Seine Firma Canonical will sich nun vor allem auf das Geschäft mit Server-Software und Cloud konzentrieren, denn da verdient sie ihr Geld.

Bleibt die Frage, was das Ubuntu Deskop Team, das es immer noch gibt, von dem in der Linux-Community hassgeliebten Unity-Desktop in die neue Zeit herübergerettet hat. Die Antwort ist für Unity-Fans enttäuschend: So gut wie gar nichts.

Und das Dock sitzt immer noch links

Natürlich sieht Ubuntu 17.10, das erstmals standardmäßig den Display-Server Wayland nutzt, auf den ersten Blick fast genauso aus wie seine Vorgänger. Dafür sorgen schon allein die Hausschrift, das etwas angestaubte Icon-Set und der lila-orangene Desktop-Hintergrund, der genau wie früher eine leicht depressive Grundstimmung vermittelt. Auch ein farblich  angepasstes Thema für den Login-Bildschirm gibt es, nachdem Ubuntu von LightDM zu Gnomes GDM gewechselt ist.Das Dock ist noch da, wo es dem alten Unity-Design zufolge hingehört: Links natürlich. Kurios: In einem Screenshot, der die offizielle Veröffentlichungs-Mitteilung von Ubuntu ziert, sitzt das Dock unten.

Standardmäßig zeigt Gnome ja gar kein Dock an, solange der Benutzer nicht die Aktivitäten-Ansicht einblendet. Deshalb hat das Ubuntu Desktop Team die bereits existierende Gnome-Erweiterung Dash to Dock geforkt, möglichst stark an die alte Optik angepasst … und schwupps, fertig war das Ubuntu Dock.

Das Ubuntu Dock mit einer „Badge“ für die Zahl der neuen Emails. Das Icon-Set in diesem Screenshot ist Paper

Update: Die aufgebohrte Erweiterung unterstützt die Unity Launcher API, so dass einige Programm-Symbole wie früher Fortschritts-Balken (etwa für einen Download in Firefox) und Ziffern (für die Zahl neuen Emails in Thunderbird) anzeigen können. Das hat Ubuntus Dock dem Original Dash to Dock voraus. Übrigens lässt sich Ubuntu Dock nicht wie eine Gnome Erweiterung installieren und konfigurieren. Letzteres ist über einen eigenen Eintrag in den Systemeinstellungen möglich, ersteres geschieht über das Paketmanagement:

sudo apt install gnome-shell-extension-ubuntu-dock

Kern-Konzepte der Benutzerführung wurden ersatzlos gestrichen

Damit hat es sich dann aber auch. Das Panel sitzt zwar weiterhin oben, ist aber das ganz gewöhnliche Gnome-Panel, per Erweiterung um ein einfaches Indikator-Applet ergänzt. Anders als von Unity gewohnt kann das Panel die Menüs des gerade aktiven Programmfensters nicht mehr anzeigen. Ubuntu hatte dieses raumsparende Konzept von Mac-OS übernommen. Auch das HUD („Head-up-display“) gibt es nicht mehr. Es ermöglichte Tastatur-affinen Benutzern, über eine inkrementelle Suchfunktion („Search-as-you-type“) schnell durch die Menüs eines Programms zu navigieren, ohne dafür die Maus bemühen zu müssen.

Damit sind zwei Kern-Konzepte der alternativen Benutzerführung von Ubuntu ersatzlos gestrichen worden. Es gibt zwar eine Gnome-Erweiterung für HUD, doch die Entwicklung für Gnome 3.26 – also die Version, die auch Ubuntu 17.10 installiert – wurde (zumindest vorerst) eingestellt. Die Begründung des (freiwilligen) Entwicklers der Erweiterung, Lester Carballo Pérez, lässt sich kurz und pointiert so zusammenfassen: Gnome und das zugrunde liegende GTK-Framework verändern ständig die APIs; die Gnome-Entwickler machen, was sie wollen, und interessieren sich nicht für Fremd-Entwickler.

Wer will schon ständig den Gnome-Entwicklern hinterher patchen?

Solche Klagen über Gnome sind durchaus kein Einzelfall. Aus demselben Grund hat Ikey Doherty, Mastermind hinter SolusOS, angekündigt, seinen Budgie Desktop, der auch in einer empfehlenswerten Ubuntu-Version erhältlich ist, von der Gnome/GTK+-Basis auf Qt umzurüsten. Weil es einfach zu aufwändig ist, den Launen der Gnome-Entwickler hinterher zu patchen. Wir erinnern uns: Auch Unity war ein Fork von Gnome 3, an dem die Ubuntu-Entwickler ständig herumfrickeln mussten, um die Benutzerführung an ihre Vorstellungen anzupassen. Mal waren die Schattenwürfe verzeichnet, mal passte der Scrollbalken nicht, mal erschienen die Menüs nicht richtig. Irgendetwas war immer. Kein Wunder, das Shuttleworth die Notbremse gezogen hat.

Was nun? Wer den alten Zeiten nachtrauert, sollte sich Ubuntu Mate anschauen, denn dort haben die Entwickler HUD implementiert (obwohl auch der Mate-Desktop inzwischen komplett auf GTK3 portiert ist). Wer die Übersichtlichkeit der Gnome Shell mag, kann auch direkt sudo apt install gnome-session ausführen (Ubuntu Gnome als separate Variante gibt es nicht mehr), denn der Mehrwert durch die vom Ubuntu Desktop Theme verzierte Gnome Shell erschließt sich nicht. Generell bringt der Gnome-Desktop in Version 3.26 eine weiter optimierte Oberfläche mit einer viel übersichtlicheren Anwendung für die System-Einstellungen und –  brr – ohne Indikator-Applet a.k.a Legacy Tray; das hält man in Zwergenhausen schlicht für überholt.

Die System-Einstellungen wurden für Gnome 3.26 überarbeitet; im neuen Ubuntu hat das Dock sein eigenes Registerblatt bekommen

Die letzten Atemzüge eines gestrandeten Wals

Unity ist noch in Ubuntus Universe Repository. Da Unity 7 Bestandteil der aus dem Jahr 2016 stammende LTS-Version 16.04 ist, muss es laut Support-Versprechen bis zum Jahr 2021 gepflegt werden. Aber das ist etwa so, wie einem gestrandeten Wal bei seinen letzten Atemzügen auf dem Trockenen zuzusehen. Angepasst oder gar verbessert wird da nichts mehr.

Vom Nachfolger Unity 8, das auch auf Qt – siehe oben – basiert, hört man seit dem Fork durch das Yunit-Projekt gar nichts mehr. Ubuntu Phone wird immerhin bei UBports weiterentwickelt, braucht aber mehr Unterstützer. Und warum eigentlich nicht? Schließlich gibt es immer mehr Convertibles – also Rechner, die sich sowohl per Tastatur als auch per Touch bedienen lassen -, und erst jüngst hat im Crowdfunding ein Linux-Smartphone der US-Firma Purism das Zahlungsziel von 1,5 Millionen Dollar erreicht.

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